V. Rhe­to­ri­sche Kompetenz

Zudem wird heut­zu­ta­ge unter­stellt, dass die aktu­ell bereit­ge­stell­ten Tech­no­lo­gien selbst den neu­en Umgang mit Infor­ma­tio­nen ermög­li­chen und gera­de dar­in die Poten­tia­le zum selbst­be­stimm­ten Han­deln lägen. Die erwei­ter­ten Zugangs­mög­lich­kei­ten zu den Res­sour­cen sol­len die Fähig­keit för­dern, wich­ti­ge Situa­tio­nen, wich­ti­ge Tex­te, Nach­rich­ten ange­mes­sen zu inter­pre­tie­ren, rich­ti­ge Stra­te­gien zu ent­wi­ckeln und eigen­ver­ant­wort­lich mit und auf Grund von Infor­ma­tio­nen agie­ren zu können.

Für Robert Feus­tel hat dies dazu geführt, dass schein­bar alles in Infor­ma­tio­nen über­setz­bar ist. Er stellt fest: »Sie wer­den gespei­chert, pro­zes­siert, wei­ter­ge­ge­ben oder zurück­ge­hal­ten, gesam­melt, gefälscht oder gehan­delt. Man kann sich infor­mie­ren oder des­in­for­miert sein. Wir bestehen aus gene­ti­schen Infor­ma­tio­nen und ver­ar­bei­ten sie neu­ro­nal. Wenn wir kom­mu­ni­zie­ren, tau­schen wir Infor­ma­tio­nen aus. Selbst kör­per­li­che Inter­ak­tio­nen las­sen sich auf die­se Wei­se ver­ste­hen. Ges­ten und Klei­dung etwa ver­sen­den ver­steckt und mit­un­ter nicht inten­diert Infor­ma­tio­nen, wie Pick-up-Artists und Ver­hal­tens­for­scher sagen. Die signi­fi­kan­ten rech­ten Nach­barn im gram­ma­ti­schen Sinn von Infor­ma­ti­on sind -Tech­no­lo­gie, -Cen­ter, -Manage­ment, -Ser­vice, -Sys­tem, -Life­style, -Offi­cer, -Secu­ri­ty, -Act oder -Worker. Doch gera­de die­se uni­ver­sel­le Ver­brei­tung, die­se All­ge­gen­wart von Infor­ma­tio­nen macht stut­zig.«[11]

Und mei­nes Erach­tens hat Feus­tel recht mit sei­ner The­se, dass wenn alles Infor­ma­ti­on ist, dann ist Infor­ma­ti­on nichts. Sie hilft uns nach­ge­ra­de nicht wei­ter auf der Suche nach Erkennt­nis. Wie soll der Voll­zug von Kom­mu­ni­ka­ti­on in ihrer Wech­sel­sei­tig­keit auch nach­voll­zo­gen wer­den, wenn es nur noch um den Aus­tausch von Infor­ma­tio­nen geht? Wie soll deren Bedeu­tung, die seman­ti­schen Aspek­te noch Beach­tung finden?

Soll jedoch Wis­sen ent­ste­hen, Erkennt­nis­se erlangt wer­den, dann braucht es ein den­ken­des Sub­jekt, das Infor­ma­tio­nen bear­bei­tet und struk­tu­riert, damit sie genutzt wer­den kön­nen. Not­wen­dig sind Rezep­ti­vi­tät und Refle­xi­vi­tät, mit­hin Inter­pre­ta­ti­ons­fä­hig­keit und Inter­pre­ta­ti­ons­tä­tig­keit. Heu­te wird ger­ne her­vor­ge­ho­ben, dass der Mensch das Wis­sens­ma­nage­ment ändern und die Fähig­keit zur Dele­ga­ti­on und zur Bewer­tung von Infor­ma­tio­nen erwer­ben muss. Aller­dings ist dies sehr leicht dahin­ge­sagt, obwohl sich doch die Fra­ge stellt, wie ein Mensch in einer Zeit, in der die Mani­pu­la­ti­on von Infor­ma­tio­nen tech­nisch immer ein­fa­cher und per­fek­ter wird, die Inte­gri­tät von Infor­ma­ti­on über­haupt bewer­ten soll. Wie gehe ich mit Infor­ma­tio­nen um, wird zur Fra­ge des mün­di­gen Bür­gers schlecht­hin. Dies lässt sich kon­kret bezo­gen auf das World Wide Web fra­gen. Gera­de die Ent­gren­zung macht es mög­lich, jeden Text, jedes Bild etc. immer mehr zu mani­pu­lie­ren. Hier ist nicht die Fra­ge nach Ori­gi­nal oder Kopie ent­schei­dend, denn jeder Umgang mit Web­sei­ten, jedes Her­un­ter­la­den oder Dru­cken von Doku­men­ten löst einen Kopier­vor­gang aus, der nicht zu Las­ten der Qua­li­tät des Ori­gi­nals geht. Ent­schei­dend ist, die Fähig­keit der Nut­zer ein­zu­schät­zen, wel­che Gel­tung dem emp­fan­ge­nen Pro­dukt zukommt. Wenn es um wirk­lich zu schüt­zen­de Daten geht, gibt es tech­ni­sche Anstren­gun­gen (z. B. Fire­walls) oder auch Stra­fen (man den­ke an die Dis­kus­si­on um das ille­ga­le Her­un­ter­la­den von Musik). Wie aber gelangt Mann oder Frau zur Fähig­keit der kri­ti­schen Beurteilung?

Die Rhe­to­rik nun for­dert uns zum Streit der Mei­nun­gen auf, wes­halb sie die Men­schen für die­sen Streit schu­len will: Sie geht also von demo­kra­ti­schen Struk­tu­ren aus, in denen sowohl der­je­ni­ge, der von sei­nem Stand­punkt über­zeu­gen will als auch der­je­ni­ge, der über­zeugt wer­den soll, rhe­to­risch geschult ist. In die­sem Sin­ne ver­steht sich die Rhe­to­rik als ein Werk­zeug im Kultivierungsprozess.

Auf die Schwie­rig­kei­ten eines sol­chen Kul­ti­vie­rungs­pro­zes­ses hat schon Pla­ton zu sei­ner Zeit hin­ge­wie­sen: Weil die Sophis­ten Geld nah­men für ihre Leh­re und weil sie behaup­te­ten, der gute Red­ner kön­ne auch über­zeu­gen von Din­gen, die er nicht beherrscht oder tat­säch­lich ganz anders beur­teilt, wur­den sie von Pla­ton als Schein­künst­ler dif­fa­miert – mit weit­rei­chen­den Fol­gen bis in unse­re Gegen­wart. Aber die Sophis­ten sind es, die erkann­ten: Wenn Wahr­heit nicht unmit­tel­bar zugäng­lich ist, ent­schei­den Men­schen auf der Grund­la­ge ihres Vor­wis­sens, ihrer Vor­ur­tei­le und ihrer Erfah­run­gen. Ein Rück­be­zug auf Erfah­run­gen ist immer einer auf Mei­nungs­wis­sen. Zwar haben die Sophis­ten uns auch sehr direkt die Gefah­ren der Instru­men­ta­li­sie­rung von Mei­nungs­wis­sen vor­ge­führt, vor allem aber ver­dan­ken wir ihnen die Erkennt­nis, dass sich Han­deln an Mei­nun­gen ori­en­tiert. Bei allen Ent­schei­dungs­fin­dun­gen geht es um rhe­to­ri­sche Mei­nungs­bil­dungs­pro­zes­se.[12]