Wie Platon hat sich auch Aristoteles gegen die Instrumentalisierung des Meinungswissens gestellt. Er hat es aber nicht verworfen, sondern seine sozialkommunikative Funktion hervorgehoben. Für Aristoteles sind sowohl Wissen als auch Meinung Hinweise auf die Fähigkeit des Menschen, zur Erkenntnis zu gelangen.
Aristoteles, der wie Platon die Scharlatanerie der Sophisten verurteilte, erkannte die Bedeutung der »doxa«, also das, was wir als wahr annehmen, was gesellschaftlich anerkannte Meinung ist gegenüber der »episteme«, also vom tatsächlichen Wissen, und erarbeitete eine Rhetorik, die die Hörenden als wichtigste Personen wahrnimmt und deshalb untersucht, was an den Dingen glaubwürdig ist. Dieser Rhetorik geht es nicht um einen instrumentellen Zugriff, daher wird die Vermittlung von Meinungen an die Existenz gemeinsam geteilter Vorstellungen von Welt geknüpft, um maßgebende Orientierung in einer gemeinsam zu verwirklichenden Praxis zu erarbeiten. Die Rhetorik des Aristoteles ist ein Vermögen (»dynamis«), zur Realisierung von Möglichkeiten beizutragen, da sie den Anfang des politischen Handelns im gemeinsamen Beratschlagen ansetzt. Deshalb ist sie ein Weg zur Glaubhaftmachung und ein Moment der Erkenntnis, was an den Dingen glaubhaft ist. Der Bürger soll mit dieser Kompetenz und dem Wissen, an welchen Orten Rhetorik auf welche Weise zum Tragen kommt, politisch zum Wohl der Gemeinschaft handeln.
Die Rhetorik im Diskurs wird zu einer besonderen Form der Wissensaneignung. Einer, die sich gerade an den praktischen Anforderungen orientiert. Deshalb hat sie ein durchaus kritisches Verhältnis zum Wissen, das sich dem Glauben an die Wissensgesellschaft entgegenstellen lässt. Erst die Erinnerung an den Wert, den die Sophisten der Kategorie der Meinung gegeben haben, und an die daraus erwachsene Methode zu untersuchen, was an den Dingen glaubhaft ist, lässt ermessen, wie wichtig es ist, das Wissen und die Meinungen auf angemessene Weise miteinander in Bezug zu setzen. Wichtig ist daher die Fähigkeit, Wissen angemessen kundzutun, um so auf das Handeln Einfluss zu nehmen.
Demnach ist jeder in zunehmendem Maße darauf angewiesen, die Prozesse als rhetorische deuten zu können und in ihnen als rhetorisch Gebildeter zu handeln. Gerade in einer Welt in der es absolute Sicherheit niemals geben kann, wird es entscheidend, Kriterien zu entwickeln, um Plausibilität und Glaubwürdigkeit zu erkennen. Auch der rhetorisch Gebildete entgeht jedoch nicht dem Risiko, falsche Entscheidungen zu treffen, aber er entwickelt die Fähigkeit, im Diskurs Plausibilität und Glaubwürdigkeit auf die Spur zu kommen. Meines Erachtens sollte daher das Studium der Rhetorik wieder zum selbstverständlichen Teil eines jeden Lehrplanes werden.