Ich behaupte, dass es grundsätzlich eine »gute« und eine »schlechte(re)« Intention von Gestaltung gibt. Ist es eben die demonstrative Zurschaustellung eines Sich-mehr-leisten-Könnens? Oder kaschiert ein Design sogar die wahre Absicht? Was hat es für funktionale Konsequenzen – und vor allem auch, welche Folgen für die anderen? Die Frage nach der – sicherlich hier etwas pointierten – guten oder der gar bösen Gestaltung kann man heute, moralisch betrachtet, vermutlich eher so sehen: Dient sie letztlich allen oder nur wenigen? Nützt sie einem und schadet sie vielen? Ist sie also, nochmals zugespitzt, damit einfach nur Teil und die »Exekutive« eines Marketings, dessen alleiniges Ziel der als Selbstzweck gesehene Wachstumsglaube ist, oder löst es eine Veränderung aus? Gutes Design stößt vermutlich und bestenfalls immer auch einen Veränderungsprozess an. Beim Auftraggeber, beim Nutzer, bei einem selbst …
Deshalb ist so wichtig, an welcher Stelle Design steht, zeitlich und hierarchisch – steht es am Ende eines langen Prozesses, einer Entwicklung, wo man nur mehr die schöne Verpackung braucht, die hochwertige Broschüre, die intelligente Website, oder wird es von Anfang an mit einbezogen, bereits bei der strategischen Überlegung (der des Unternehmens selbst, des Produkts …), wen es noch Spielräume gibt, wenn es erst einmal um Fragen geht, nicht um Antworten. Umso früher Gestalterinnen und Gestalter mit hinzugezogen, einbezogen werden, umso eher kann deren spezifisches Potenzial auch wirksam werden und ihr Einfluss wachsen. Doch darf man dabei nicht vergessen: Umso größer der Einfluss, desto größer ist auch die Verantwortung. Man lehnt sich aus dem Fenster, wenn man beispielsweise bei einem neu konzipierten Weitwanderweg sagt: Setzt auf das, was da ist, die Natur. Keine Inszenierung, nichts Lautes, nicht das im Tourismus übliche »Viel hilft viel« und »das Eine tun, das Andere nicht lassen« – wir wollen »die richtigen« Wanderer finden. Sie sollen kommen und mit ihrer Nachfrage das Angebot verändern und mit dem Angebot die Perspektive und mit der Perspektive die Haltung. Wenn das aber nicht funktioniert, wird man sich erklären müssen. Fünf Tourismus-Verbände bei solchen Fragen unter einen Hut zu bringen, ist nicht ohne …
So wird man heute auch ganz allgemein Gestaltungsaufgaben immer weniger »isoliert« sehen dürfen, denn man kann heute eigentlich kein visuelles Erscheinungsbild für eine Kommune mehr ohne den Blick auf ihre Ortsentwicklung machen, man kann keine touristische Aufgabenstellung ohne deren Relevanz und ihren Einfluss auf eine notwendige Regionalentwicklung sehen, man muss den Spagat zwischen Einheimischen und Gästen suchen …
Wenn Design so sehr mit dem Verändern in Verbindung steht, es sein Wesen und Antrieb ist, und man dann auf die Welt blickt, findet sich eine interessante Konstellation – sie wird sich, wenn sie in dieser Form und mit den sich darin Tummelnden überleben will, ebenfalls sehr stark verändern müssen. Es gibt den schönen Spruch: Es muss sich vieles ändern, wenn alles so bleiben soll, wie es ist. Und damit wäre die Aufgabe der Gestalter fast definiert …
Eine Option sollte nicht übersehen werden: Gestalten muss nicht zwingend »stofflich« sein – man kann auch Prozesse, Immaterielles gestalten, man kann über andere »Formate« nachdenken. Dazu wäre der Gestaltungsbegriff auszuweiten – was auch gut wäre!
Unser Büro hat beispielsweise statt einem Buch über diese Themen im Oktober 2015 einen Kongress zur Entwicklung des ländlichen (und städtischen) Raums veranstaltet. »Stadt.Land.Schluss.« hieß er und sollte die Rolle der Provinz thematisieren: Warum verlieren das Dorf, das Land ständig an seinen ländlichen Qualitäten, büßen an Lebensqualität ein, ohne auch nur eine städtische hinzuzugewinnen? Warum ist z. B. nach dem ÖPNV auch der intelligente, zukunftsfähige Individualverkehr nur eine urbane Angelegenheit und hat nur dort seine Relevanz, obwohl auf dem Land jede Familie zwei Autos hat und eine Doppelgarage?
Das Denken eines Designers, seine Haltung, seine Methodik, all das hat einen zentralen Aspekt, einen Ausgangs- und Zielpunkt gleichermaßen: den »Möglichkeitssinn«, das Prospektive, das Nicht-Lineare, das Nicht-Extrapolierende. Die Welt wird in Excel-Tabellen regiert und gelenkt – jeder Konzern, die Ministerien, Hochschulen, alle planen und denken in dieser Logik, die im Grunde immer auf einer Art »Referenzierung« basiert. Sprich: der Blick zurück – die Fortführung von früheren Zahlen. Wir streben ein um drei Prozent höheres Ergebnis an als im Vorjahr; wie müssen sich dann die Kosten entwickeln, wie war der Verlauf bei den Umsätzen die letzten Jahre? Das Neue wird aus dem Alten extrapoliert und generiert. Design, gutes Design indes legt nicht einfach nur eine neue Spalte an und führt sie fort – es kann »Sprünge« machen, die Tabelle selbst gewissermaßen neu denken und gestalten …
Design hat zudem die (großartige) Möglichkeit, dieses Neue zu visualisieren. Das ist eine Kompetenz, die für Gestalter selbstverständlich ist, aber in der Welt ansonsten eher unbekannt ist. Wir können Bilder schaffen, die noch nicht existieren. Das kann Mut machen, ermutigen, motivieren. Die Politik kann das jedenfalls nicht! Warum beispielsweise funktioniert eine Energiewende nicht? Es gibt neben tausend technischen und grundsätzlichen Fragen kein Bild, keine Vision, wie die Energiewende sein könnte und was sie bedeutet, was es heißt, nicht mehr von Ländern mit fossilen Brennstoffen abhängig zu sein und so weiter. Das könnte Kräfte freisetzen und Gemeinsinn formen!
Die Politik verheddert sich im Geflecht der Einzelinteressen. Versucht es allen recht zu machen, vor allem denen mit großem Einfluss und vielen Mitteln. Die Medien – bei denen die schlechte Nachricht die gute ist, die Auflagen steigernde – berichten im Detail über das Scheitern dieser Projekte und lassen letztlich flächendeckend resignierte, frustrierte Menschen zurück. Wir aber brauchen Ziele, gute Beispiele, motivierende. Design und auch die Architektur müssen per se den folgenden Grundsatz haben, quasi als Axiom: Wir leben in einer von Menschen für Menschen gemachten Welt, in einer künstlichen Welt – die künstliche, gestaltete ist letztlich zu unserer »natürlichen« Welt geworden. Das impliziert: Sie könnte auch ganz anders gestaltet sein und sie ist »gestaltbar«. Dazu kann jeder von uns seinen Beitrag leisten. Und wir werden diesen brauchen, wenn wir unsere Lebensgrundlagen und -standards erhalten wollen. Wir können nicht alle noch sehr lange munter »zwei Erden« verbrauchen. Es wird eine neue Balance geben müssen, insbesondere zwischen ökonomischen und ökologischen Anforderungen, von Leben und Wirtschaften. Würden alle Unternehmen, Landwirte, Verlage etc. für die »Folgekosten« ihres Tuns aufkommen müssen, wären schon heute die ökologisch, nachhaltig und fair arbeitenden Betriebe mehr als konkurrenzfähig. Gleichzeitig damit lösten sich viele soziale Fragestellungen.