Wir haben in Europa zwar so etwas wie ein Zeitalter des »Post-Kommunismus« erreicht, dafür aber auch eine Form von Kapitalismus entstehen lassen, die mit der »sozialen Marktwirtschaft« nicht mehr so viel gemein hat. Und es gibt neue Herausforderungen; religiöse Konflikte, Fragestellungen und Kontroversen scheinen unvermeidlich auf dieser Agenda. Wie reagieren wir darauf, als Menschen, Gestalter, Demokraten? Denn eine Demokratie basiert nicht auf dem einen Kreuz, das wir alle vier Jahre zwischen relativ geringer »Auswahl« machen, sondern lebt davon, dass sie täglich neu verhandelt wird. Wie wollen wir leben? Was ist ein gutes Leben? Was bedeutet Freiheit? Als Designer können wir uns diesen Fragestellungen nicht mehr entziehen – wir arbeiten ja für Kommunen, Unternehmen, Konzerne, Hochschulen, Institutionen … Wir müssen uns bewusst sein, dass wir nicht wie Karl Valentin im »Plattenladen« nur die eine Seite der Langspielplatte kaufen können.
Als Umkehrschluss dieser Verantwortung gilt aber – und immerhin – das Schöne, nämlich die Möglichkeit, etwas zu verändern und zu bewegen. Wer, wenn nicht ihr, soll diese Welt verändern, soll dazu beitragen, sie besser zu gestalten? Und wir dürfen den Mut haben, den Glauben, dass wir dies auch können. Dabei müssen wir auch nicht, wie Politik und Wirtschaft das gerne fordern, »alle Menschen dort abholen, wo sie stehen« – abgesehen davon, dass ich auch gar nicht weiß, wo die alle herumstehen! Also nichts fordern, keinem etwas zumuten. Wie soll das gehen? Was hätten wir denn gelernt, wenn man uns auch gleich immer überall abgeholt hättet? Wir würden vermutlich noch alle in irgendwelchen Höhlen sitzen, nicht in einem beheizten Raum mit Fenstern und Internet-Zugang! Wie würde die Evolution funktionieren, wenn sie keinen überfordern dürfte?
Erfolg wiederum, das sollte man auch nicht vergessen, ist niemals zwingend der Ausdruck und Beweis von Sinn oder Nutzen. Nicht selten ist es eher das Gegenteil. Und so, wie der Zweck niemals die Mittel heiligt, so gibt einem Erfolg nicht immer automatisch recht – ökonomisch vielleicht, ja, aber das ist eben nur eine von vielen Dimensionen des Lebens. Und selbst die Wirtschaft wird langfristig nur erfolgreich sein können, wenn sie nicht gegen die Natur arbeitet und auch nicht gegen die Natur des Menschen. Dazu aber wird zuerst die Politik die Rahmenbedingungen verändern müssen; das jedenfalls würde die Sache stark vereinfachen und beschleunigen. Darauf aber sollten wir nicht warten, können wir nicht warten.
Wenn Design seine Rolle sucht, seine neue Rolle sucht, sie ausweitet, Einfluss nimmt, wird Design das nicht »alleine« können. Es wird vermutlich eine gewisse Transdisziplinarität brauchen. Die im übrigen nicht bedeutet, dass lauter spezialisierte Spezialisten, so eine Art »Fach-Autisten« mit- oder nebeneinander arbeiten – es ist eher eine Art und Form des »Universalismus« im Großen und im Kleinen, was sinnvoll ist. Das gilt mehr und mehr auch für die »hehren Wissenschaften«; die Designer sind ja den meisten noch immer mehr als suspekt! Doch bei den Soziologen, den Ökonomen und so weiter, merkt man schon seit einiger Zeit, dass wirklich neue Erkenntnisse nicht mehr »alleine« gewonnen werden können. Es fehlen die Zusammenhänge, die Perspektiven – weshalb mehr und mehr fachübergreifend geforscht und gearbeitet wird. Das ist gut. Nur schade, dass wir Designer dabei nicht einbezogen werden und als bereichernd gesehen werden. Aber das kann sich ja noch ändern.
Man muss sich im Übrigen auch nicht schämen kein »Spezialist« zu sein! Im Gegenteil, mir erscheint dieser vorher schon erwähnte »Universalist« auf Grundlage eines echten humanistischen Geistes, als die Option und Chance. Denn wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Wir wissen im Grunde alles – und machen (fast) nichts. Das gilt für die Welt im Großen, wie für das Eigene im Kleinen. Auch damit kommt man wieder auf die Aspekte des Möglichkeitssinns zurück – verbunden mit der Stärke und Kraft unserer Kompetenz zur Visualisierung. Sie könnte eine Verbindung schaffen zwischen der Erkenntnis und der Umsetzung – das wäre eine unglaublich wertvolle Schlüsselrolle!
Reden wir deshalb mit Kunden nicht über die Gestaltung, sondern über das Warum, das Wohin, die Tragfähigkeit und Nachhaltigkeit. Reden wir über Werte und Haltung. Die Gestaltung kommt dann ganz von selbst. Das kann man nicht immer, freilich, aber man kann es immer versuchen. Ich würde an dieser Stelle den viel zitierten Spruch von Erich Kästner modifizieren und sagen: Es gibt nichts Gutes, außer man versucht es. Vermitteln wir, als nur ein Beispiel, dass man – denn Worte sind Haltung – vielleicht nur mehr von Zielgruppen spricht, wenn man welche abschießen möchte! Es sind Menschen, Menschen mit Träumen, Stärken, Schwächen, Bedürfnissen … so wie Sie! Für unser Büro ist das Schlüsselkriterium übrigens immer: Würden wir die Dinge unserer Kunden selbst kaufen, nutzen, essen? Wenn nicht, wird es schwer.
Also folgen wir unserem Herzen und denken wenigstens hin und wieder daran: Es geht nicht mehr so sehr darum, was wir wollen, sondern was es braucht. Es gibt keine unpolitische Gestaltung. Nicht nur, im besten Sinn der guten alten »Kommune 1«, ist das Private politisch. Es geht dabei auch nicht um die Gestaltung für die Politik, für Parteien. Ich bin der festen Überzeugung: Jedes Design ist politisch. Denn selbst derjenige, der – aus welchen Gründen auch immer – sein Handeln für unpolitisch hält (oder noch nicht einmal das vor Augen hat), agiert auf einer politischen Ebene: Denn seine Arbeit hat einen Effekt, paradoxerweise auch dann, wenn sie keinen hat.
Das ist auch das Schöne an unserer Arbeit, an der Rolle der Designer: Kann man gemeinhin eigentlich nur sein eigenes Verhalten ändern (was ja auch vollkommen ausreichend wäre, wenn es alle täten) haben wir die Chance, unseren Gestaltungsrahmen zu erweitern, zu multiplizieren – freilich mit der bereits erwähnten, mitwachsenden Verantwortung. Aber die trägt man bekannterweise ja auch für das, was man nicht tut. Lehnen wir uns also aus dem Fenster: Lasst uns da rausgehen, nerven, fragen, stören! Ich glaube, es ist eine der wichtigsten Aufgaben des Gestalters: zu stören. Lassen Sie uns einen Beitrag leisten, eine lebenswerte Welt zu gestalten und zu bewahren.
Wir haben die Möglichkeiten – und finden unsere Chancen. Wir müssen wütend sein und nachsichtig, ehrlich zu uns selbst, aber auch nicht zu streng. Also kritisch und gutmütig. Denn damit kommen wir auch wieder zum Ausgangspunkt zurück und zu dem, was Design wirklich kann: Herz und Verstand haben.