Essay

Zeit auf dem »Zauberberg«

Erzählstrategien in Thomas Manns Roman

Von Volker Friedrich


»Es war ein­mal ein klei­ner Jun­ge, dem wur­de von sei­nem Leh­rer auf­ge­tra­gen, ein Bild zu malen. Auf dem Bild soll­te der klei­ne ­Jun­ge sich selbst malen – als Mann, als Erwach­se­ner, wie er dann aus­sä­he, was er dann mache, wel­chem Beruf er nachginge.–
Der klei­ne Jun­ge zöger­te nicht, nahm einen gro­ßen Block und die Was­ser­far­ben und mach­te sich ans Werk. Er mal­te und mal­te und mal­te. Und auf dem gro­ßen Bogen ent­stand, Pin­sel­strich um ­Pin­sel­strich, ein gro­ßes Zim­mer. Vor des­sen Wän­den stan­den ­Rega­le, voll mit Büchern bis zur Decke. Mit­ten im Raum stand ein ­schwe­rer Schreib­tisch, auf dem stand eine Schreib­ma­schi­ne, an der ein bär­ti­ger Mann saß und tipp­te. Die­ser bär­ti­ge, tip­pen­de Mann rauch­te Pfei­fe. Der Leh­rer besah sich das Bild lan­ge schwei­gend, bis er schließ­lich frag­te: ›Und was möch­test Du nun werden?
Der Jun­ge sah ihn erstaunt an und sagte – «

An die­ser Stel­le soll­te ich die­se Geschich­te wohl unter­bre­chen, schließ­lich soll es in die­sem Essay über die »Zeit auf dem Zau­ber­berg« gehen, also um Tho­mas Manns gro­ßen Roman »Der Zau­ber­berg«, der 1924, vor 100 Jah­ren erschie­nen ist. Und es soll dar­um gehen, wie Zeit erzählt und somit Wir­kung auf einen Leser erzeugt wer­den kann. Das zu tun, hat­te Mann sich mit dem Roman selbst auf­ge­ge­ben: »Der Zau­ber­berg« sei »ein Zeit­ro­man im dop­pel­ten Sinn: ein­mal his­to­risch, indem er das inne­re Bild einer Epo­che, der euro­päi­schen Vor­kriegs­zeit, zu ent­wer­fen ver­sucht, dann aber, weil die rei­ne Zeit sein Gegen­stand ist, den er nicht nur durch die Erfah­rung sei­nes Hel­den, son­dern auch in und durch sich selbst behan­delt«[1].

Wird die­ser Roman, wird der »Der Zau­ber­berg« noch gele­sen? Und wer liest noch Tho­mas Mann? Man soll ja die Hoff­nung nie fah­ren las­sen … Wer­fen wir des­halb Bli­cke auf das Leben von Tho­mas Mann und auf sein Werk. Sodann fah­ren wir auf den »Zau­ber­berg«, schau­en uns an, was dort von wem gespielt wird, betrach­ten also die Hand­lung des ­Romans und sei­ne wich­tigs­ten Figu­ren. Von dort aus gehen wir noch ein paar Schrit­te wei­ter zu den ­phi­lo­so­phi­schen Weg­mar­ken des Wer­kes und fra­gen, was es mit der Zeit und die­sem Roman auf sich hat.

Unse­re letz­te Sta­ti­on wird weit höher im Gebir­ge der Spe­ku­la­ti­on lie­gen, viel­leicht errei­chen wir sie aber auch nur nach einer ­Steil­fahrt hin­un­ter in die Nie­de­run­gen schrift­stel­le­ri­scher Über­legungen. Wie auch immer: Wir wer­den dort Aus­schau hal­ten nach dem ­Erzäh­len und danach, was das Erzäh­len mit der Zeit zu tun hat und mit ihr macht. Da sind wir dann schon nicht mehr auf dem Zau­ber­berg des Tho­mas Mann, son­dern ste­hen vor den ent­zauberten Wirk­lich­kei­ten eines Hoch­schul­leh­rers, der das ­Schrei­ben leh­ren soll …

Fah­ren wir also zur ers­ten Sta­ti­on, zum Autor und sei­nem Werk.