Die Bezugnahme, die Referenz erfolgt beim Schreiben, also in dem Prozess, der sich im Text finalisiert. Die Referenz wird im wissenschaftlichen Schreiben offengelegt, sie wird belegt. Im literarischen Schreiben muss das nicht offengelegt, decodiert werden, im Gegenteil, die Decodierung der Bezugnahmen ist oft Teil des Vergnügens, das ein elaborierter Leser sich mit einem literarischen Text verschafft.
Der Schreibprozess ist selbstverständlich nicht allein zu kennzeichnen durch etwaige Bezugnahmen, sie sind gleichwohl konstitutiv für das Schreiben. Die Analyse des vielschichtigen, komplexen Prozesses »Schreiben«, das sei dem Nachwuchs in unseren Reihen zum Trost gesagt, wird wohl nie ausgeschöpft sein; zur Beunruhigung nicht nur des Nachwuchses in unseren Reihen muss man allerdings einräumen, dass der forschenden Beschäftigung mit diesem Prozess weitaus weniger gesellschaftliche Würdigung entgegengebracht wird, als das dem Forschen in anderen Bereichen widerfährt: Euro, Neuro und Nano zählen mehr als Hanno, wenn Sie mir einen Kalauer gestatten.
Bezüge
Eine meiner Thesen, die ich gern wiederhole, lautet: Bildung schützt uns davor, uns für origineller zu halten, als wir sind. Der beste Schutz vor falschen Bezugnahmen oder vor unbewussten Plagiaten dürfte das Referenzsystem, die Bildung sein, die wir in uns verankern. Deshalb scheinen mir im übrigen diejenigen Lerntheorien angreifbar zu sein, die den wichtigsten Lernerfolg darin sehen, dass man weiß, wo man suchen muss. Wonach man sucht, muss man ja erst einmal herausfinden – relevante, belastbare und nach vorne weisende Fragen stellen zu lernen, ist ein wichtiger Aspekt des Bildungsprozesses; danach kommt die Recherche nach etwaigen Antworten. Aber das nur als Nebenbemerkung.
Bildung schützt uns davor, uns für origineller zu halten, als wir sind. Einräumen muss ich jedoch: Das eigene, gut ausgebaute Bezugssystem, die eigene Bildung allein wird uns nicht ausreichend schützen vor falschen Bezugnahmen oder vor unbewussten Plagiaten. Ein sehr wichtiger Aspekt ist das scharf kritische Infragestellen der eigenen Annahmen, Vermutungen, Thesen. In diesem Prozess sind Fragen wichtig wie: »Stimmt das? Welche Voraussetzungen mache ich, wenn ich so oder so denke und frage?« Und bestimmte Fragen sollten den kritischen Geist, zu dem eben auch die Selbstkritik gehört, dabei stets begleiten, nämlich Fragen wie: »Wie komme ich auf meine Ideen? Woher habe ich sie? Wer könnte mir das eingeflüstert haben? Welche Denkfallen stelle ich mir selbst?« Und dann sollten wir unserem eigenen Bezugssystem, unserer eigenen Bildung misstrauisch gegenüber stehen, sie kann uns in Gewissheit wiegen und damit in Fallen locken. Dann können ungewollt fehlerhafte oder sprunghafte Bezugnahmen entstehen.
Bevor ich diese Malaise an einem Beispiel aus der Wissenschaft vorführe, möchte ich Sie mit einem literarischen Text einstimmen und erheitern, einem Text, der uns für das literarische Spiel zwischen den Texten und zwischen den Zeilen ein erstes ironisches Beispiel abgibt. Es handelt sich um eine wunderbare Stelle aus Laurence Sternes (1713—1768) »Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman«. Dem Ich-Erzähler Tristram Shandy geht es über lange Strecken des Romans darum, seinem Werden, schon vorgeburtlich, nachzuspüren. Sein betagter Erzeuger, auf die 60 zugehend, war
»in allem was er tat, ob fürs Geschäft oder zum Ergötzen, einer der regelmäßigsten Menschen, die jemals gelebt haben. Um nur ein Pröbchen seiner ungemeinen Pünktlichkeit zu geben, deren Sklave er in Wahrheit war, – so hatte er’s sich seit vielen Lebensjahren zur Regel gemacht, – am ersten Sonntagabend eines jeden Monats im Jahr, – so gewiss wie dieser Sonntagabend kam, – mit eigener Hand eine große Hausuhr aufzuziehen, die wir auf dem oberen Absatz der Hinterstiege stehen hatten: – Und da er zu der Zeit, von der ich gesprochen habe, von den Fünfzig auf die Sechzig zusteuerte, – hatte er allmählich gewisse andere Familienobliegenheiten gleichfalls auf diesen Termin geschoben, um sie […] alle auf einen Streich vom Hals zu haben, und den Rest des Monats über nicht weiter damit geplagt und geplackt zu sein.
Es war dies nur von einer kleinen Mißlichkeit begleitet, die in großem Maß auf mich niederschlug und an deren Auswirkungen ich, fürchte ich, bis an mein Grab werde zu schleppen haben; nämlich, daß es, durch eine unglückselige Verknüpfung von Ideen, zwischen denen der Natur nach keinerlei Zusammenhang besteht, schließlich dahinkam, daß meine arme Mutter nie das Aufziehen der besagten Uhr hören konnte, – ohne daß ihr dabei unweigerlich der Gedanke an gewisse andere Dinge in den Kopf fuhr, – & vice versâ: – einer jener absonderlichen Ideenverknüpfungen, von denen der scharfsinnige Locke, der die Natur solcher Dinge gewißlich besser verstand als die meisten Menschen, behauptet, sie hätten mehr verquere Handlungen hervorgebracht, als alle anderen möglichen Quellen des Vorurtheils zusammen.«[2]